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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.03.2007
Aktenzeichen: 1 W 3/07
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 139 | |
ZPO § 139 Abs. 1 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss
1 W 3/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Kahl, den Richter am Oberlandesgericht Tombrink und den Richter am Amtsgericht Dr. von Selle am 6. März 2007
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 7. Dezember 2006 - 3 O 65/06 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 46.328,12 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 24. Oktober 2006 zu Recht als unbegründet zurückgewiesen und der dagegen gerichteten Beschwerde mit Recht nicht abgeholfen.
Dem Ablehnungs- und Beschwerdevorbringen lässt sich kein Grund entnehmen, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der erkennenden Richterin zu rechtfertigen; diese kann deshalb nicht mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 42 Abs. 2 ZPO).
Die Verhandlungsführung der abgelehnten Richterin gibt einer vernünftigen, mit den Gepflogenheiten des Zivilprozesses vertrauten Partei keinen Anlass, deren Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Das mit den Parteien geführte Rechtsgespräch lässt insbesondere keine Voreingenommenheit der Klägerin gegenüber besorgen.
Umfang und Inhalt der materiellen Prozessleitungspflicht des Gerichts sind anhand der in § 139 ZPO angelegten Unterscheidung zwischen Erörterungs- und Hinweispflicht zu bestimmen (Senat, Beschlüsse vom 4. Januar 2006 - 1 W 10/05 - und 26. Januar 2006 - 1 W 9/06 -). Die allgemeine Erörterungspflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO unterliegt einer Einschätzungsprärogative des erkennenden Gerichts, weil die Erforderlichkeit der Erörterung im Sinne dieser Vorschrift zwangsläufig von dessen rechtlichen Einschätzungen abhängt, die es in sachlicher Unabhängigkeit zu treffen hat.
Im Mittelpunkt der Erörterung stand danach die Frage, ob die Klägerin ihre Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls verletzt hat. Diese Frage hat die abgelehnte Richterin ausweislich ihrer dienstlichen Äußerung, deren Richtigkeit insoweit auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt wird, zunächst mit der Begründung bejaht, dass die Angaben zu Ziff. 12 der Schadensanzeige vom 1. Dezember 2005 nicht ausreichend gewesen seien; diese Angaben, die die Zusammenhänge betrafen, die zum Verlust des Fahrzeugs führten, seien, wie die Richterin weiter ausgeführt hat, deshalb von wesentlicher Bedeutung, weil sie die Grundlage eigener Ermittlungen des Versicherers bildeten. Dem ist die Klägerin mit dem Argument entgegengetreten, dass Versicherer in diesen Fällen ohnehin nur sehr beschränkte Ermittlungen anzustellen pflegten; die Einlassung zielte mithin in rechtlicher Hinsicht darauf ab, dass das Gericht die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers überspanne. Wenn die erkennende Richterin im Anschluss hieran die Redewendung vom "Volkssport Versicherungsbetrug" bemühte, diente dies ersichtlich nur der Illustration ihres Verständnisses des Inhalts der jeden Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls treffenden Obliegenheiten. Darin unterscheidet sich der Streitfall im Übrigen entscheidend von der Konstellation, die der klägerseits zitierten Senatsentscheidung vom 27. Mai 1997 - 1 W 14/97 - zu Grunde lag (MDR 1997, 780 f.). Während dort ein konkreter Straftatverdacht mit darauf gestützter Aussetzung des Verhandlung (§ 149 ZPO) in Rede stand, geht es hier um die Auswirkungen kriminologischen Erfahrungswissens ("Volkssport Versicherungsbetrug") auf versicherungsvertragsrechtliche Obliegenheiten.
Es mag zwar durchaus sein, dass die Klägerin in Person ihres Geschäftsführers diesen rechtlichen Kontext, gleichsam im "Eifer des Gefechts", außer Acht gelassen und die beanstandete Äußerung als gegen sich gerichteten Vorwurf missverstanden hat. Diesem Missverständnis ist die abgelehnte Richterin aber sogleich, wie auch die Klägerin einräumt, mit dem Bemerken entgegengetreten, dass sie dem Geschäftsführer der Klägerin "nichts unterstelle". Inwieweit diese Äußerung der Richterin mit einem tendenziösen "Unterton" unterlegt gewesen sein soll, lässt sich weder dem Ablehnungsgesuch noch der Beschwerde entnehmen. In der detaillierten und sorgsamen dienstlichen Äußerung findet sich kein Anhalt für einen solchen "Unterton". Die Richtigkeit und Vollständigkeit der dienstlichen Äußerung steht ebenfalls außer Zweifel. Sie wird zudem durch die Stellungnahme der Beklagten vom 22. November 2006 bestätigt. Letztlich bekräftigt die Klägerin selbst in ihrem Schriftsatz vom 25. Oktober 2006, dass die Richterin auch hierbei wiederum ausdrücklich ("... es gibt schon ein berechtigtes Interesse der Versicherer durch genaues Ausfüllen von Anzeigen, eigene Ermittlungen anstellen zu können") den Bezug zur zentralen Frage des Inhalts der Obliegenheiten des, d. h. eines jeden, Versicherungsnehmers hergestellt hat.
Ob die von der erkennenden Richterin im Verhandlungstermin geäußerte Einschätzung, die Klägerin habe ihre Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls verletzt, der rechtlichen Überprüfung standhält, hat der Senat nicht zu entscheiden, weil das Ablehnungsverfahren kein der (vorbeugenden) Fehlerkontrolle dienendes antizipiertes Rechtsmittelverfahren ist. Auch aus inhaltlich unzutreffenden Äußerungen des Richters zur Rechtslage lässt sich daher grundsätzlich kein Befangenheitsgrund herleiten. Dabei macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob die Rechtslage als solche oder infolge einer fehlerhaften Erfassung des Tatsachenstoffs verkannt wird. Die mit der dienstlichen Äußerung als irrtümlich erkannte Annahme der Richterin, der Zeugenbeweisantritt aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 20. Juni 2006 sei erst 1 1/2 Jahre nach dem Versicherungsfall erfolgt, lässt demzufolge ebenfalls nicht auf Voreingenommenheit schließen. Dies umso weniger, als die offene Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO gerade dazu dient, den Parteien möglichst effektiv rechtliches Gehör zu gewährleisten, um Fehlerquellen im Zivilprozess beseitigen zu können. Auch dieser Gesetzeszweck würde vereitelt, wollte man solcherart prozessual veranlassten Einschätzungen Ablehnungsrelevanz zubilligen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus den §§ 40, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entspricht der Gegenstandswert für Ablehnungsgesuche dem Wert des zu Grunde liegenden Rechtsstreits (vgl. nur Senat, NJW-RR 1999, S. 1291, 1292).
Ende der Entscheidung
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